Mit Worten die Welt auf den Kopf stellen

Konstatierte Gertrude Stein vor knapp 100 Jahren „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“, stellen Beck und Matt Stanton genau das in Frage. Bei ihnen wird der Würfel zum Ball, das Monster zur Prinzessin und der Elefant zum Hund. Warum? Weil es einen Riesenspaß macht!


Beck Stanton: Das ist ein Ball. Illustriert von Matt Stanton

© 2017 Klett Kinderbuch, Leipzig


Auf verblüffende Weise führt uns das Ehepaar Beck und Matt Stanton vor Augen, dass ein Wort und seine Bedeutung einander willkürlich zugeordnet sind. Ein Wort ist nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Lauten – oder in Texten eine Reihe von Buchstaben. Eine Bedeutung erhält eine solche Abfolge erst dann, wenn sich die Sprachgemeinschaft – in dem Fall die Sprecher des Deutschen – darauf einigt, welche Bedeutung mit welcher Abfolge verbunden sein soll. Bleiben wir bei dem Titel des Buches: die Lautfolge b-a-l oder die Buchstabenfolge B-a-l-l hat an sich nichts mit dem luftbefüllten kugelrunden Gegenstand aus Leder zu tun, mit dem man so herrlich kicken kann. Es ist unsere Kultur, unsere Sprachgemeinschaft, die sich darauf verständigt hat, sämtliche Volley-, Tennis- und Fußbälle mit dem Wort „Ball“ zu verknüpfen.

Im Verlauf des Spracherwerbs erarbeiten sich Kinder also nicht nur eine Unmenge von Wörtern. Die viel anspruchsvollere Aufgabe ist die, herauszufinden, welche Bedeutung jeweils mit diesen Wörtern verbunden ist, welches semantische Konzept dahinter steht.

Die Stantons spielen in diesem Buch genau mit dieser zufälligen Zuordnung von Wort und Bedeutung. Bei einem Elefanten schreiben sie: „Das ist ein Hund.“ Natürlich fällt den Kindern die Diskrepanz zwischen Bild und Wort sofort auf. Und selbstverständlich rechnen die Autoren mit heftigem Widerspruch. Deshalb geben sie dem Vorleser gleich Vorschläge mit auf den Weg, wie er diesem Widerspruch am besten begegnen kann: „Nee, das ist ganz sicher ein Hund. Ich erkenne seine Augen. Die Beine. Das muss ein Hund sein.“ Auf diese Weise kommen Vorleser und Kind ganz automatisch in einen – gewollt absurden – Dialog. Erst durch die Proteste der Kinder und der hanebüchenen Verteidigungsversuche des Vorlesers kommt das Buch so richtig in Schwung! Ein Riesenvergnügen für alle Beteiligten!

Im Verlauf des Buches steigert sich die Absurdität der Bezeichnungen in gleichem Maße wie die inhaltliche und grammatische Komplexität. Sind es zu Beginn noch einzelne Gegenstände oder Lebewesen, werden die Aussagen immer vielschichtiger. Erst werden Adjektive hinzugefügt („Das ist ein blaues Fahrrad.“) Dann werden die einzelnen Elemente zueinander in Beziehung gesetzt: sprachlich spiegelt sich das in Verknüpfungen von Haupt- und Relativsatz wider („Das ist ein Monster, das eine Prinzessin erschreckt.“) Die bildliche, inhaltliche und grammatische Komplexität erreicht schließlich ihren Höhepunkt mit „Das ist ein Monster, das auf einem Würfel steht und eine Geschichte über eine Prinzessin erzählt, die mit ihrem Hund am Strand einen Drachen steigen lässt.“

Hier haben wir also definitiv ein Buch zum Spaß haben: alle großen und kleinen Besserwisser werden voll und ganz auf ihre Kosten kommen. Wer Vergnügen am „Buch ohne Bilder“ fand, wird hier einen würdigen Nachfolger finden. Bleibt abzuwarten, wann die anderen „Books That Drive Kids CRAZY!“ von den Stantons auf Deutsch erscheinen: „This book ist red“ und „Did you take the B from my ook?“ klingen schon mal recht vielversprechend.